Theater Erfurt
Neustart nicht mehr möglich
Machtmissbrauch, Belästigung: Wegen schwerer Vorwürfe wurde Guy Montavon „freigestellt“. Die Absetzung des Generalintendanten könnte folgen
Ute Grundmann • 25. Januar 2024
Guy Montavon ist nicht mehr Herr im Haus – der Erfurter Generalintendant wurde freigestellt und mit Hausverbot belegt. Zunächst bis zum 7. Februar, bis dahin haben die Lokalpolitiker Zeit, einen 124 Seiten langen Untersuchungsbericht zu studieren. Darin wurden Vorwürfe der sexuellen Belästigung durch Mitarbeiter des Theaters und des Machtmissbrauchs geprüft und bestätigt.
Diese teils Jahre zurückliegenden Vorgänge kamen zuerst der Gleichstellungsbeauftragten Mary-Ellen Witzmann zu Ohren. Ein Anrufer aus dem Theater schilderte ihr, dass es Belästigungen im Theater gebe; wohl auch ein Klima der Angst herrsche. Witzmann fragte nach, recherchierte und informierte die Öffentlichkeit. Die Stadt kündigte ihr daraufhin fristlos, weil sie „gegen Dienstanweisungen verstoßen“ habe.
Doch die Themen Belästigung, Machtmissbrauch und Angst am Erfurter Theater waren damit in der Welt. Vom Theater dazu lange Zeit kein Wort; doch die Berliner Anwaltskanzlei FS-PP wurde mit der Prüfung der Vorhaltungen beauftragt. Die Anwälte fanden „Dutzende Fälle“, vieles davon allerdings verjährt, weil nicht oder zu spät Anzeige erstattet wurde. Ein weiteres Problem: Keine(r) der Betroffenen wollte Angaben zur Person veröffentlicht sehen. Aber „einen Neustart mit der bisherigen Leitung“ sieht die Kanzlei „als unmöglich“ an.
Die Debatte um Persönlichkeitsrechte und Opferschutz dürfe aber nicht in den Hintergrund drängen, worum es eigentlich gehe, betonte Steffen Präger (Partei „Mehrwertstadt“), Vorsitzender des Werkausschusses. In diesem Kontrollgremium für das Theater kommen die Fraktionen, sachkundige Bürger, der Kulturdezernent und der Generalintendant zusammen. Diesem nichtöffentlich tagenden Kreis lag das Gutachten der Berliner Rechtsanwälte zuerst vor.
Konkreter wurde es in der ersten Verhandlung des Arbeitsgerichtes Erfurt, vor dem Mary-Ellen Witzmann gegen ihre Kündigung klagt. Ihr Anwalt, Markus Golz, gab dort den Anruf eines Theatermitarbeiters bei Witzmann wieder, der ihr sexuelle Übergriffe eines Theater-Mitarbeiters bei den Domstufen-Festspielen schilderte, für die es einen Zeugen gebe. Der Ehemann der betroffenen Frau sei ins Theater gegangen, „um die jahrelangen sexuellen Belästigungen seiner Frau durch den Mitarbeiter zu beenden“.
Von der lokalen Zeitung dazu befragt, stritt Montavon zunächst alles ab, um dann „von einem verbalen Vorfall gegenüber einer Mitarbeiterin unseres Subunternehmens“ zu sprechen. Wegen des ausdrücklichen Wunsches der Betroffenen nach Anonymität könne das nicht weiterverfolgt werden.
Der Untersuchungsbericht der Berliner Kanzlei, aus dem auch die Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung zitiert, hat es dagegen in sich.
„Im Theater Erfurt ist keine Compliance-Kultur etabliert, die der Begehung von Taten der sexuellen Belästigung und des Machtmissbrauchs entgegenwirken würde. Wir mussten im Gegenteil einen klar negativen ‚Tone from the top‘ feststellen.“ Weiter heißt es in dem Dokument: „Gegen den Generalintendanten bestehen Verdachtsfälle, durch unangemessenes Verhalten gegenüber Beschäftigten schuldhaft seine dienstlichen Pflichten beziehungsweise seine Fürsorgepflicht verletzt zu haben.“
Auch wenn es keinen Tathinweis oder –verdacht gebe, präge „diese Art Führungskultur ganz offensichtlich ein nicht zeitgemäßes Verhaltensmilieu“. Das müsse abgestellt werden, so die Anwälte, die auch anderen Mitarbeitenden des Theaters „derartige Regelverstöße“ zuwiesen. Außerdem sei die Machtbegrenzung durch Arbeitsteilung vollkommen in Richtung des Generalintendanten verschoben und nicht mehr zeitgemäß. Gemeinsam mit Montavon wurde auch die Verwaltungschefin Angela Klepp-Pallas freigestellt.
Solch barocke Machtfülle und Amtsführung ist an deutschen Theatern aber kein Einzelfall. Gerade wurde Uwe Eric Laufenberg als Intendant des Theaters Wiesbaden entlassen. Der neue hessische Kulturminister Timon Gremmels, gerade mal ein paar Tage im Amt, betonte, Laufenberg werde am Haus weder weiter spielen noch inszenieren. Immer wieder hatte es Konflikte am Theater und Streit mit dem Ministerium gegeben. Natürlich wurde die Trennung, wie in solchen Fällen üblich, „einvernehmlich“ genannt. Guy Montavon ist übrigens auch Landesvorsitzender des Deutschen Bühnenvereins. In dessen Fachmagazin „Die deutsche Bühne“ ist auf der Website bis jetzt kein Wort zum „Fall Erfurt“ zu lesen.
Doch auch schon vor dem jetzigen Eklat hatte es im Theater Erfurt schon einige Male gerumpelt. Montavon feuerte den jungen Generalmusikdirektor Alexander Prior nach nur eineinhalb Jahren; zu selten anwesend, keine Lust auf Leitungsaufgaben war die Begründung. Als der Schauspieler Thomas Thieme 2023 seine Regie für Glucks «Telemach» nur wenige Wochen vor der Premiere niederlegte, gab es dazu vom Theater nur Schweigen. Auf der Homepage allerdings wurden alle Bild- und Texthinweise gelöscht. Thieme klagte dann in der Lokalzeitung, er sei „an der Routine im Theater gescheitert“.
Und auch bei den Domstufen-Festspielen im Vorjahr lief es nicht rund. Weniger als 70 Prozent Auslastung trugen eine Million Euro zum Defizit von insgesamt drei Millionen Euro bei, die Stadt verhängte für eine Million eine Haushaltssperre. Das schlechte Ergebnis lag zum einen an der nicht gerade massentauglichen Oper «La Damnation de Faust» von Hector Berlioz, sicher aber auch an den Eintrittspreisen. Für einen Platz in der 25. und damit letzten Reihe waren immerhin 70 Euro zu bezahlen.
Eine „zunehmende Selbstherrlichkeit“ bescheinigt zwar auch SPD-Stadtrat Wolfgang Beese dem Generalintendanten, mit dem er befreundet ist. Dessen Beurlaubung aber sei „völlig überzogen“. Das sieht aber nicht nur seine eigene Partei anders. Diese Entscheidung sei „längst überfällig“ gewesen, so Niklas Waßmann (CDU); auch Sebastian Hilgenfeld (Bündnis 90/Die Grünen) sind „personelle Konsequenzen unausweichlich“. Und Kulturdezernent Tobias Knoblich (parteilos) sieht „momentan keine Vertrauenssituation mehr“. Er führt derzeit das Erfurter Theater gemeinsam mit dem stellvertretenden Generalintendanten Malte Wasem kommissarisch.
Dort versuchte man sogleich, sein Publikum zu beruhigen: „Trotz der aktuellen Freistellung der Theaterleitung finden alle Vorstellungen zu den veröffentlichten Terminen in der gewohnten Qualität statt.“ Das sei den über 300 Mitarbeitenden zu verdanken. Auch die für den 27. Januar angesetzte «Rusalka»-Premiere soll stattfinden, die von Montavon angefangene Inszenierung werde in Teamarbeit fertiggestellt.
Montavon habe zu sehr seine eigene Karriere in den Mittelpunkt gestellt, meinte auch Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement in Frankfurt am Main, in einem Interview des Mitteldeutschen Rundfunks. „Man hat viel zu lange gewartet.“ Es habe schon früher immer wieder Situationen gegeben, die auf ein Klima der Angst, großer Angst hindeuteten. „Aber die Stadtpolitik hat nicht interessiert, was hinter den Theatertüren passiert, obwohl sie informiert war.“ Schmidt ist allerdings auch Mitbegründer des Neuen Schauspiels Erfurt, einer Konkurrenz für den vor 20 Jahren eröffneten, schicken Neubau. Hier wird überwiegend Oper gespielt, Erfurt ist die einzige Landeshauptstadt ohne Schauspielsparte. Gelegentlich gibt es Schauspiel in der kleinen Studiobox des Theaters.
Gedreht haben sich Situation und Einschätzung für die fristlos gekündigte Mary-Ellen Witzmann. „Ohne ihre Aktivitäten hätten wir jetzt nicht diese Transparenz oder zumindest Einblicke“, meint nicht nur Niklas Waßmann (CDU) zur Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten. Guy Montavon dagegen hatte noch kurz vor dem erzwungenen Ende ein zweites Mal ein „persönliches Statement“ verschicken lassen. Darin betont er, „bereits im Oktober habe ich (...) sowohl den Oberbürgermeister als auch den Kulturdezernenten initiativ gebeten, eine unabhängige Untersuchung zu beauftragen, um alle Fragen zu klären und aufarbeiten zu lassen.“ Er habe diesen Prozess selbstverständlich von Anfang an unterstützt, werde das auch weiterhin tun, bitte aber um Besonnenheit, auch, um Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu schützen.
Die Stadt dagegen spricht von „gravierender Erkenntnis“ durch den Untersuchungsbericht, fordert die künftige Gewährleistung von Rechts- und Regeleinhaltung am Theater. Konsequenzen stünden unter dem Vorbehalt der gesetzlichen Gremienentscheidung, aber eine öffentliche Abberufung durch den Stadtrat sei möglich.
Quellen
Vorwürfe am Theater Erfurt: Experte sieht Fehler bei der Stadt, MDR, 22.01.2024 // https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/guy-montavon-theater-erfurt-thomas-schmidt-kultur-news-100~amp.html
Guy Montavon beurlaubt. Künstlerisches Resüme, MDR Klassik, 22.01.2024 // https://www.mdr.de/mdr-klassik-radio/klassikthemen/erfurt-intendant-guy-montavon-beurlaubt-100.html
Theater Erfurt: Letztes Wort in Sachen Montavon hat der Stadtrat. – Von: Casjen Carl und Frank Karmeyer, Thüringer Allgemeine, 22.01.2024 [Paywall] // https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/erfurt/article241482350/Theater-Erfurt-Letztes-Wort-in-Sachen-Montavon-hat-der-Stadtrat.html
Montavon fristlos kündigen: Klare Forderung zu Erfurts Theater-Chef. – Von: Casjen Carl, Thüringer Allgemeine, 22.01.2024 [Paywall] // https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/erfurt/article241481296/Montavon-fristlos-kuendigen-Klare-Forderung-zu-Erfurts-Theater-Chef.html